[3.5.2] Dehydroepiandrosteron (DHEA)

Auch das Dehydroepiandrosteron scheint, ähnlich dem Melatonin, ein »ökonomisches Hormon« zu sein, das den Körper vor unnötiger Energievergeudung schützt und damit sein Leben verlängert. Wie das Epiphysenhormon der Gegenspieler von Serotonin und Adrenalin, den stimulativen Neurotransmittoren, ist, so hält das Dehydroepiandrosteron ein anderes, nämlich das klassische Streßhormon in Schach, das Kortison. Auch das DHEA wird wie das Kortison in der Nebenniere gebildet und steht unter der Steuerung des gleichen hypophysären Peptids, nämlich das ACTH. Die Parallelität im Bindungsort und im Freisetzungsmuster symbolisiert bereits, daß es sich bei diesen Hormonen um einen Ying/Yang-Mechanismus handelt: Das Kortison vergeudet Energie, falls dies für den Organismus von Vorteil ist, das DHEA schaltet den Körper auf Sparkurs, wenn keine großen Aktivitäten notwendig sind.

Energieverbrauch und Altern sind in unserem Körper unweigerlich verbunden. Während das Melatonin die Wirkung kleiner energievermittelnder Partikeln in der Zelle schmälert, greift das DHEA direkt am Energiekraftwerk unseres Körpers ein, an den Mitochondrien. Sie versorgen unseren Körper mit jener Energie, die Voraussetzung für jede biologische Regung ist, für Muskelkontraktionen, Sinneseindrücke und Nervenaktivitäten. Dafür ist Kraft notwendig, die über die Grundwährung des Lebens, über das Adenosintriphosphat dem Körper zur Verfügung gestellt wird. Bei dieser Verbindung ist der Evolution ein großer Wurf gelungen: nach Erschaffung der Welt hat sich der ubiquitär vorkommende Phosphor – nach Zwischenschaltung von Schwefel, das ebenfalls im Überfluß vorhanden war – mit Kohlenwasserstoffverbindungen verbunden und so eine energiereiche Konstellation geschaffen, die überall dort zu Hilfe genommen wird, wo Leistung notwendig wird.

Adenosintriphosphat wird in den Mitochondrien mit dem energetisch hochwirksamen Phosphat verkoppelt, wobei allerdings – denn in der Natur ist nichts umsonst – Protonen und Wasserstoffelektronen in das Kraftwerk der Zelle hineingepumpt werden. Diese Elektronen fallen in den Mitochondrien von einer Verbindung zur anderen, bei jedem dieser Sprünge entsteht ATP. Ein Schritt in dieser Elektronenübertragung wird durch das DHEA unterbunden, es blockiert die sogenannte »NADH-Reduktase« und stellt damit das Kraftwerk unserer Zelle auf eine energiesparsame Gangart. Damit wird weniger Adenosintriphosphat zur Verfügung gestellt, die Energiebilanz sinkt zwar, allerdings leben die Kraftwerke, die Zellen länger, denn dieser Elektronentransfer, der die Energiequelle der Zelle ist, läßt unwillkürlich jene freien Radikale entstehen, die das Erbgut, die Blutgefäße, Enzyme und Blutfette attackieren und sie letzten Endes zerstören. Trotz aller ausgeklügelten Systeme ist es nicht ganz zu verhindern, daß die energiespendenden Elektronen entweichen, und am falschen Ort aktiv werden – als freie Radikale. Damit wird das DHEA – ähnlich wie das Melatonin – in die grundsätzliche Entstehung der Alterungsprozesse involviert: es arbeitet der Entropie entgegen, es reduziert die Schnelligkeit biologischer Reaktionen, spart Energie (wenn auch auf Kosten der Leistung, die allerdings nicht immer in diesem Ausmaß notwendig ist) und verhindert vor allem die unkoordinierte Aktivität von Elektronen.

Den für den Organismus offensichtlich ganz wichtigen ökonomisierenden Energieeffekt exekutiert das DHEA auch in einer anderen biologischen Reaktion: um Protonen und Elektronen überhaupt verfügbar zu haben, müssen sie über eigene biochemische Reaktionen so hergestellt werden, daß sie den Kraftwerken unserer Zelle angeboten werden können. Das Dehydroepiandrosteron unterdrückt jenes Enzym, das die Protonen und Elektronen für die Mitochondrien vorbereitet, nämlich die Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase, die normalerweise aus Glukose Ribose herstellt und als zusätzliche Leistung Wasserstoff in eine Form bringt, die dann zu den Kraftwerken der Zellen transportiert werden. Lange hat man diese Bereitstellung von energiereichen Wasserstoff als Nebeneffekt der Zuckerumwandlung gehalten. Heute weiß man, daß sie Voraussetzung ist, um die Grundenergiewährung unseres Körpers, nämlich das Adenosin-Triphosphat zu bilden.

Das DHEA verhindert bzw. reduziert die Bereitstellung dieser Wasserstoff-aktivierten Verbindung und drosselt damit das Kraftwerk unserer Zelle in zweifacher Weise: einerseits verlangsamt es den Elektronentransport in den Mitochondrien selbst und reduziert so die Synthese von ATP, andererseits verhindert es die Versorgung der Mitochondrien mit jenen Brennstoffen aus denen dann letzten Endes das ATP hergestellt wird, indem es die bereits besagte Glukose-6-Phospat-Dehydrogenase hemmt.

Die vom DHEA niedrig gehaltenen aktivierten Sauerstoffverbindungen sind nicht nur für die Energieherstellung in den Mitochondrien notwendig, sondern auch für das Anlegen von Energie-Reservoirs in den Zellen: um aus kleinen Kohlenstoffteilen Fettsäuren herstellen zu können, bedarf es eines hohen Energieaufwandes, für den ebenfalls die aktivierten Wasserstoffverbindungen, die vom Melatonin stiefmütterlich unterdrückt werden, notwendig wären. Kann die Fettzelle über sie nicht verfügen, so ist sie nicht in der Lage, aus kleinen Verbindungen große Fetttropfen zu synthetisieren. Dies ist eine Erklärung dafür, warum das DHEA fettreduzierend wirkt. Es verhindert die Synthese des Fettes in den Adipozyten. Umgekehrt regt es jene Enzyme, biochemischen Scheren vergleichbar, an, die Fettsäuren verschneiden. Die dadurch freiwerdende Energie wird allerdings nicht in das Adenosin-Triphosphat, in die Energiewährung gepumpt, sondern verpufft als Wärme.

Der Alterungsprozeß des Menschen geht mit einer Veränderung der körperlichen Silhouette einher, sodaß man schon über weite Distanz aufgrund der body-composition einen jungen von einem älteren Menschen zu unterscheiden vermag. Die abnehmende Synthese des DHEA spiegelt das im Alter zunehmende Unvermögen des Körpers, Fett abzubauen, bzw. seine Akkumulation zu verhindern. Beides vermag das DHEA.

Das Bewahren der jugendlichen Körpersilhouette ist allerdings nur ein Nebeneffekt des DHEA. Wichtiger ist wahrscheinlich seine bremsende Wirkung auf den Gesamtorganismus, vor allem deshalb, weil es den Streßhormon Kortison, das naturgemäß vermehrt Energie benötigt, entgegenwirkt.

Das Kortison peitscht – streßbedingt – unser kardiovaskuläres System auf. Der Blutdruck steigt, die Pulsfrequenz nimmt zu, Phänomene die uns von Streßsituationen bekannt sind. In direkter Weise arbeitet das DHEA dieser Kortisonwirkung entgegen. Wahrscheinlich ist dies auch eine Erklärung, warum bei Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen der DHEA-Spiegel niedriger ist, als bei gesunden Altersgenossen; erhärtet wird diese Vermutung durch den Gegenbeweis: erhöht man bei Menschen nach einem Herzinfarkt den DHEA-Spiegel nur um 1 µg/ml Serum so führte dies zu einer um 50 % besseren komplikationsfreien Überlebenszeit.

Nicht nur am Herzen und in den Blutgefäßen, auch im Gehirn ist das DHEA der Gegenspieler des Streßhormon Cortisols, das, gelangt es vermehrt in gewisse Nervenabschnitte unseres Gehirns, zerstörend wirksam werden kann. Das DHEA verstärkt die Gedächtnisbrücken und hat gleichzeitig einen neutrotropen, d.h. einen schützenden und ernährenden Effekt auf die Nervenzellen, was für die Altersforschung noch von hoher Bedeutung werden wird. Unterstrichen wird der große Stellenwert, den das DHEA für das Gehirn hat, durch die Fähigkeit bestimmter Hirnzellen, ähnlich wie die Nebenniere und der Eierstock, DHEA selbstständig zu produzieren. Auch hier denkt die Medizin um: vor kurzer Zeit vertrat man noch die Meinung, daß nur große Drüsen, wie die Nebenniere, Ovarien oder Hoden Geschlechtshormone freisetzen können. In der Zwischenzeit weiß man, daß auch Nervenzellen in der Lage sind, bestimmte Steroidverbindungen selbstständig zu produzieren, ein Hinweis dafür, wie wichtig dieses Hormon für die Gehirnzellen ist. Das Dehydroepiandrosteron gehört zu jenen Steroidverbindungen, die Gliazellen unseres Gehirns selbstständig synthetisieren. Dabei ist eine Beobachtung von besonderem Interesse: während in unserem Körper der Spiegel des Dehydroepiandrosterons nur geringfügig schwankt, steigt er im Gehirn während der Nachtstunden hoch signifikant an, als wollte er förmlich die Nervenzellen vom Cortisol, das ebenfalls in der Nacht, allerdings nur aus der Nebenniere kommend den Körper überflutet, schützen.

Die Rolle eines Gegenspieler kommt dem DHEA auch im Immunsystem zu: die weißen Blutkörperchen entwickeln sich in zwei Richtungen, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Das Cortisol führt die T-Lymphozyten in die eine, das DHEA in die andere Richtung, auch diese Beobachtung unterstreicht, daß das Dehydroepiandrosteron eine biologisch wichtige Antipode des stärksten Streßhormons unseres Körpers, des Cortisols ist.

Normalerweise zirkuliert das DHEA in gebundener Form als Sulfat in unseren Körper und erreicht bei 30-40jährigen Menschen eine Konzentration von 2-6 µg/ml. Ab der Pubertät fällt es kontinuierlich ab und liegt im Alter oft unter 1 µg/ml, während – und dies ist für den Alterungsprozeß von besonderen Brisanz – das Streßhormon mehr oder weniger gleich bleibt. Schon aus diesem Grund ist eine Zufuhr des DHEA sinnvoll, wenn es in zu niedriger Konzentration vorliegt und Beschwerden verursacht.

Ähnlich wie andere Hormone kann das DHEA als Kapsel zugeführt werden, 30 mg pro Tag genügt in den meisten Fällen, um ein Defizit auszugleichen. Die richtige Dosierung kann man durch eine Blutuntersuchung leicht kontrollieren. Aber auch transdermal als Salbe wird das DHEA appliziert; dabei umgeht man nicht nur, wie bei anderen Hormonen die Leber, sondern nützt gleichzeitig den fettmobilisierenden Effekt dieses Hormons an jenen Körperstellen aus, wo man das Fettgewebe verringern möchte.

Neben seiner Rolle als Gegenspieler des Cortisols hat das DHEA noch eine zweite große Aufgabe, die ebenfalls mit dem Alterungsprozeß zusammenhängt: es ist die Muttersubstanz vieler anderer Hormone, die unser Körper ebenfalls benötigt, der Androgene und auch der Östrogene. Deswegen ist das DHEA jene Steroidverbindung, die in höchster Konzentration in unserem Körper vorkommt: kein anderes Steroidhormon durchfließt in so hoher Menge unseren Organismus wie das DHEA. Die Ursache dafür liegt eben in der »Reservoir«-Funktion dieses Hormons: es dient offensichtlich zahlreichen Zellen, andere Hormone, wie z. B. das Testosteron oder das Östradiol aus dem DHEA zu synthetisieren. Damit wird man in Zukunft wahrscheinlich ein neue Form der Hormonsubstitution anbieten können: man stellt dem Organismus eine Muttersubstanz, wie es das eine DHEA ist, zur Verfügung und überläßt es dann den einzelnen Geweben, daraus jene Hormonverbindungen zu bilden, die es benötigt.