[3.2.2] Progesteron – Hormon der Weisheit
Das Gelbkörperhormon Progesteron wurde die längste Zeit völlig mißverstanden und weit unter seinem Wert verkauft. Die Medizin glaubte nämlich, daß dessen einzige Aufgabe nur darin bestünde, die Einnistung des Embryos zu gewährleisten und dessen Aufzucht zu garantieren. Positive andere Wirkungen wurden diesem Hormon kaum zugetraut, als Motor für vitale Leistungsfähigkeit, Fitneß und Schönheit der Frau war es daher kaum von Interesse.
Freilich änderte die Medizin in den vergangenen Jahren ganz schlagartig ihre Meinung, als erkannt wurde, daß das Aufgabenprofil des Gelbkörperhormons bei weitem jenes schmale Spektrum überschreitet, das ihm bis dato zugeteilt war. Das Progesteron hat auch einen verjüngenden und kosmetischen Effekt. Seine Hauptaufgabe ist zwar, die Fortpflanzung zu sichern, die Weitergabe der Art und der Fortbestand der Menschheit, mittlerweile ist aber auch – unabhängig von der Schwangerschaft – der gesundheitsstimulierende Effekt dieses Hormons auf den weiblichen Körper bekannt.
Der Stimulationseffekt außerhalb der Gravidität basiert im wesentlichen auf einer Überlistung der Natur: Durch die Progesteroneinnahme signalisiert die Frau ihrem Organismus eine (tatsächlich nicht vorhandene) Schwangerschaft – und der weibliche Körper läßt prompt alle jene Programme anlaufen, die er bei einer Schwangerschaft zur Stärkung und Verschönerung der Frau konzipiert hat.
Die Frau profitiert also durch die Einnahme dieses Schwangerschaftshormons von den positiven Seiten einer Schwangerschaft, ohne überhaupt schwanger zu sein. Der Körper wird also regelrecht überlistet. Die durchaus angenehmen Folgen sind für die Frau äußerst günstig: Das Hormon bewirkt eine gefestigte Gesundheit und eine sehr effiziente Spannkraft. Gegenargumente zu dieser Form der Hormonanwendung sind kaum aufbietbar. Es gilt der medizinische lateinische Leitsatz: »Primum nil nocere« – frei übersetzt: »Helfen ohne zu schaden«. Es dürfen bei dieser Art der Behandlung keine Nachteile auftreten. Sollten sich aus irgendwelchen Gründen aber tatsächlich Nachteile einstellen, dann müssen diese absolut ungefährlich und stets um vieles kleiner sein als die damit erworbenen Vorteile.
In Kurzform die Wirkungsweise von Progesteron. Dieses Hormon greift in den Zentralmechanismus des menschlichen Körpers ein. Während einer Gravidität wird der Körper, nicht zuletzt durch das Gelbkörperhormon, auf seine neue Aufgabe umgestellt. Frau und Kind werden richtiggehend aufgerüstet – der weibliche Körper bekommt Kraft und Energie, um Organe, Gewebe und andere Körperteile aufzubauen.
Um die Zusammenhänge zwischen Alterungsprozeß und hormoneller Wirkung zu verstehen, sollen deren Abläufe hier erläutert werden.
Gewebsumbau
Der Körper eines erwachsenen Menschen unterliegt einem ständigen Auf- und Abbau, der »tissue remodelling« genannt wird. Mit zunehmendem Alter verschiebt sich das vitale Gleichgewicht im menschlichen Körper – der Aufbau wird geringer, der Abbau stärker.
Der Mensch verliert im Alter an Lebenskraft. Dies kann oft deutlich sichtbar werden und mit sehr negativen Folgen verbunden sein: Das Gesicht bekommt Falten, die Muskeln bilden sich zurück und verlieren an Spannkraft, die Nägel an Fingern und Zehen werden schwächer und brüchiger und die Knochen werden dünner; gefährlich dünn sogar, denn die Osteoporose zählt zu den gefährlichen Altersbeschwerden. Die Tendenz des Organismus, im Alter verstärkt Gewebe abzubauen, heißt in der Medizin Katabolismus.
Merkwürdigerweise ist es der medizinischen Forschung noch nicht gelungen, die Gründe für diesen Katabolismus restlos zu erhellen. So wie die Zeit eine physikalische Größe ist, die sich nur in einer einzigen Richtung fortbewegt, scheint das Alter wohl auf Abbau vorprogrammiert zu sein.
Die Medizin hat sich mit dieser destruktiven Sichtweise zu keiner Zeit abfinden wollen, denn der ewige Jungbrunnen war schon immer ein Ziel, das in allen Zeiten der Menschheit angepeilt wurde. Ewig jung bleibt niemand, wohl aber hat die moderne Medizin mittlerweile ein Lebensmodell gesichtet, bei dem das körperliche Abbauprogramm weitgehend ausgeschaltet ist und in dem nur noch der Aufbau zugelassen wird.
Dieses Modell ist die Schwangerschaft. Durch sie wird eine schwangerschaftsähnliche Situation simuliert, die der Frau – auch ohne heranreifendes Kind – privilegierte Gesundheitszustände bietet. Viele Frauen berichten, daß sie sich noch nie so wohl gefühlt hätten, wie während ihrer Gravidität. Ihre Haut war in dieser Zeit wunderschön, die Haare dicht und seidig und die Stimmung extrem positiv. Manchmal gibt es freilich auch Komplikationen – etwa Hormonstörungen, erhöhter Blutdruck oder abnorme Gewichtszunahme. Diese Schattenseiten einer Schwangerschaft sind aber beherrschbar. Der verjüngende Effekt einer hormonellen Schwangerschaftskonstellation überwiegt eindeutig alle Nachteile. Derzeit ist die Medizin noch nicht ganz in der Lage, die Gravidität bis ins letzte Detail zu imitieren, sie ist aber schon sehr weit fortgeschritten. Um das »Modell der Natur« mit natürlichen Mitteln, nämlich mit dem Gelbkörperhormon, komplett zu simulieren, wird die Forschung schon extrem forçiert. Der Frau soll erhöhte Flexibilität, höhere Vitalität und langandauernde Schönheit zuteil werden – auch in jenen Jahren, in denen sie nicht schwanger ist.
Im schwangeren Körper zirkulieren zahlreiche Hormone; meist sind es Umbauprodukte der Eierstockhormone. Ihre Wirkungsweise ist derzeit noch nicht völlig erforscht, die Wissenschaft arbeitet aber mit großem Aufwand an der Entschlüsselung. Ein Ergebnis steht aber fest: Die meisten positiven und verjüngenden Eigenschaften kommen vom klassischen Schwangerschaftshormon Progesteron.
In der Frauenheilkunde der vergangenen Jahrzehnte wurde das Progesteron lediglich dazu eingesetzt, um die Gebärmutterschleimhaut zu normalisieren, um einen regulären Zyklus zu gewährleisten und dadurch ein Menstruationschaos zu verhindern. Das Gelbkörperhormon bzw. seine künstlich erzeugten Verwandten, wurden die längste Zeit zur Regulierung oder Auslösung der Monatsblutung verwendet. Das viel breitere Wirkungsspektrum dieses Schwangerschaftshormons wurde erst in den letzten Jahren entdeckt. Die Forschung enthüllte erst relativ spät das Prinzip dieses Hormons. Es hemmt nämlich den Abbau vieler Gewebe dadurch, daß es die sogenannten »Matrixmetalloproteinasen« unterdrückt, das sind biochemische Scheren, die im »tissue remodelling« die Aufgabe des Abbaues von Gewebe erfüllen.
Diese Matrixmetalloproteinasen sind also kontraproduktiv, denn sie fördern den Alterungsvorgang durch Gewebsabbau. Und überall dort, wo Organe, Stützgewebe und Kollagen (Bindegewebe) altern oder leichte Beschädigungen aufweisen, zerschneidet der Körper diese mit Hilfe von Enzymen in kleine Stücke (daher der Ausdruck »biochemische Scheren«) und führt sie der Verdauung zu.
Im Alter, aber auch unter Belastung werden diese Enzyme verstärkt und sie beginnen hemmungslos alles zu zersäbeln, was sich ihnen anbietet. Das Progesteron hemmt diese Zerschnipselungsorgie und verhindert (zumindest teilweise), daß überschießendes Gewebe abgebaut wird. Dieser Bremsmechanismus des Progesterons dient natürlich zu allererst der Schwangerschaft und dem heranwachsenden Kind. In dieser Phase, in der neues Leben entstehen soll, müssen alle unnötigen Abbauprozesse blockiert werden – vor allem jene, welche das Wachstum stören könnten.
Bildlich gesprochen, legt das Gelbkörperhormon förmlich seine schützende Hand auf die weiblichen Organe, vor allem auf die Gebärmutter mit dem darin permanent größer werdenden Embryo – und stellt so quasi das gesamte Gebärsystem unter Sicherheitskuratel.
Die Devise dieser Zeit: Auf- und nicht Abbau.
Manche Frauen freuen sich während ihrer Schwangerschaft über makellos schöne, faltenfreie Haut – ein Zustand, der durch die Progesteron-gebremste Wirkung der biochemischen Scheren verständlich wird. Im Alter zerschneiden diese Scheren auch das Kollagen unter der Haut – die elastischen Fasern werden dabei durch die gleichen Enzyme verdaut, die im »tissue remodelling« den Gewebsabbau bewirken. Dadurch entstehen die Falten.
Natürlich gäbe es auch für die Gesichtshaut ein Blockierungssystem, das die Kollagenasen – so nennt man in der Medizin diese Abbaumechanismen – in die Schranken weist. Bei dieser Art der Abbaublockade müßten viele der erforderlichen Voraussetzungen stimmen, was leider nicht immer der Fall ist. Denn das Blockiersystem ist extrem leicht irritierbar. Die geringste Belastung der Gesichtshaut führt sofort unweigerlich zur Verletzung der oberflächlichen Zellen. Und diese Verletzung wiederum mobilisiert prompt die biochemischen Scheren, die sich mit heftiger Akkuratesse ans Zerstörungswerk machen. Können diese »Scheren« nicht unterdrückt werden, dann beginnen sie, über die beschädigten Hautteile herzufallen, diese zu verdauen – und das in einem Übermaß, was durch den Aufbau ganz normalen Gewebes gar nicht mehr wettzumachen ist.
Der schlimmste Feind unserer Haut ist die Sonne mit ihren UV-Strahlen. Und diese Sonneneinwirkung ist Irritation genug, um die biologischen Scheren zu wahren Freßorgien zu animieren. Einerseits ist Sonnenlicht die Voraussetzung für irdisches Leben, denn es mobilisiert jene geheimnisvollen Kräfte, deren segensreiches Wirken des Lichtes der Sonne bedarf. Andererseits aber ist das Sonnenlicht extrem gefährlich, denn es kann auch den Tod bewirken. Die Abhängigkeit des Hautkrebses vom UV-Licht der Sonne ist wissenschaftlich längst erforscht – zahlreiche Experten warnen mittlerweile über alle Medien vor den Gefahren der Sonnenbestrahlung. Über die Kollagenasen wird aber auch das Dünnerwerden der Haut, ihr Altern, und vor allem die Faltenbildung durch die UV-Strahlung ausgelöst.
Die Formel ist einfach: Je mehr UV-Strahlen, umso stärker die Wirkung der biochemischen Scheren. Und je intensiver deren Arbeit, desto schneller altert die Haut. Die Abbauvorgänge vollziehen sich unmittelbar. Trifft also ein Übermaß an UV-Belastung auf das Gesicht, zerstören auch schon die Elektronen des Lichtes einige Strukturen der Hautzellen. Diese verwundeten oder zerstörten Zellen rufen schnell die Kollagenasen zu Hilfe, die sich sofort an die Arbeit machen und das tiefer gelegene Kollagen der Haut in Stücke zersäbeln. Und schon nimmt die Zerstörung unwiderruflich ihren Lauf.
Das gesunde Outfit einer gebräunten Haut täuscht schwer. Durch den Bräunungseffekt werden diese Scheren mitunter so stark stimuliert, daß sich der Hautabbau über Jahre hinaus vermehrt fortsetzt, bis zuletzt, manchmal schon zur Lebensmitte, irreversible Hautschäden übrigbleiben. Wer sich dabei einen tödlichen Hautkrebs zugezogen hat, hat das schlechtere Los gezogen; wer dann »nur« unter schlaffem Bindegewebe zu leiden hat, darf sich zumindest über Glück im Unglück freuen. Bindegewebsschwäche entsteht nach dem gleichen Prinzip: Jene Kollagenfasern, die das unterhalb der Haut befindliche Bindegewebe durchziehen und festigen, werden auch durch die genannten Scheren zerstört.
In begrenztem Umfang kann das Progesteron Hilfestellung geben. Da das Gelbkörperhormon während einer Schwangerschaft ja den Abbau verschiedener Organe bremsen kann, blockt es – auf die Haut aufgetragen – auch die »Verdauungsmaschinerie« ab. In beschränktem Rahmen kann es also den UV-induzierten Alterungsprozeß der Haut stoppen.
Eine gleiche Wirkung geht von der Vitamin-A-Säure aus, einem Hormon, das dem Progesteron ähnelt. Die Vitamin-A-Säure kann den Alterungsprozeß der Haut verzögern und wird daher in der Dermatologie eingesetzt.
Kein Buch über gesundes Leben, in dem nicht vor den Gefahren des Nikotins gewarnt wird. Das Nikotin unterstützt die biochemischen Scheren leidenschaftlich, es ist daher ein Gegenspieler des Progesterons. Ähnlich wie die UV-Strahlen der Sonne, üben die Inhaltsstoffe des Rauchens die gleiche Stimulation auf die Kollagenasen aus. Auch dieser Zerstörungsprozeß läuft unmittelbar ab: Das Rauchen initiiert synchron die Kollagenasen, die sofort in vermehrter Zahl unter der Haut freigesetzt werden und ohne zu zögern beginnen, das Kollagen zu zerschneiden und zu verspeisen.
Erstaunlicherweise haben Airline-Bedienstete ein besonders gutes Gefühl für Hautschäden. Sie müssen berufsbedingt am Tag mehrere Hundert Passagiere an den Schaltern abfertigen. Routinemäßig stellen sie die Frage: »Raucher oder Nichtraucher?«. Einschlägige Untersuchungen ergaben, daß erfahrenes Check-in-Personal auf diese Frage verzichten kann – mit einer extrem hohen Trefferquote wissen sie die richtige Antwort im vorhinein. Sie brauchen nur einen kurzen Blick auf die Haut des Passagiers links und rechts der Augen zu werfen – und schon wissen sie Bescheid. Raucherinnen sind durch rund ums Auge konzentrierte krähenförmige Falten leicht enttarnbar. Diese Fältchen sind aber keine unmittelbare Folge des Rauchens – sie entstehen indirekt durch Aktivierung von Zerstörungsenzymen, die durch UV-Strahlen und/oder Nikotin stimuliert werden.
Das Östrogen ist gut, das Progesteron ist gut – wie gut muß erst eine Kombination aus beiden Hormonen sein?, fragten sich die Mediziner. Es steht fest, daß beide Hormone die Haut kosmetisch äußerst positiv beeinflussen. Auch vom Östrogen ist bekannt, daß es die Kollagenneubildung stark stimuliert. Kürzlich hat man also dem hormonellen Kosmetikum Östrogen auch das Progesteron beigefügt und das zu einer kosmetischen Salbe gemischt. In den USA wird diese bereits zum Kauf angeboten und als Erfolg gepriesen. Das Produkt hemmt verstärkt die biochemischen Scheren, es verhindert den Alterungsprozeß der Haut zwar nicht, aber es bremst ihn nachhaltig. Und es stoppt auch die Abbauenzyme, die in letzter Konsequenz die Faltenbildung bewirken. Das Kombinationspaket muß also vorsichtig positiv beurteilt werden. Die Wirkung des Doppels basiert auf der Aufgabenteilung der Komponenten.
Dem Progesteron kommt die Aufgabe zu, die Haut jung zu erhalten. Es unterdrückt – durch Simulation einer Schwangerschaft – jene Enzyme, die den Abbau der Zellen beschleunigen würden. Das »Schwangerschaftssyndrom« – Sicherstellung der mütterliche Organe und Schutz des heranwachsenden Kindes – kommt durch das Progesteron voll zum Tragen.
Und den Rest – Schönheit, Elastizität, Makellosigkeit – gibt der Haut die Östrogenkomponente.
Blase und Beckenboden
Das Schwangerschaftshormon verfügt aber auch noch über weitere Façetten, die weit über die Schutzfunktion während der Gravidität hinausgehen. Im ersten Anlauf sind freilich die Zusammenhänge zwischen dem Progesteron und beispielsweise dem Beckenboden der Frau nicht ganz einsichtig. Aber dennoch gibt es sie. Der Beckenboden ist jene Platte, auf dem das innere Genitale und das Gedärm der Frau ruht. Diese Stützkonstruktion ist altersabhängig. Manche Frauen über 50 klagen über eine Schwäche dieses Stützteiles. Manchmal merken sie während des Geschlechtsverkehrs, daß die Scheide weiter wird und zu klaffen beginnt. Manchmal – meist beim Tennisspielen, beim Niesen oder Lachen – kommt es zu einem unbeabsichtigten Harnverlust. Gelegentlich spürt die Frau sogar eine Lageveränderung der Gebärmutter – eine Art »Absacken«.
Alle diese Symptome sind Sonderformen des Alters – und auch sie können durch das Gelbkörperhormon behandelt werden. Sein Wirkungsmechanismus steht in engstem Zusammenhang mit jenen biochemische Scheren, die durch das Progesteron unterdrückt werden.
Unmittelbar nach einer Schwangerschaft kommt es aber zu einem Progesteronabsturz und prompt fällt dieser Arretierungsprozeß – also die Knebelung der kollagenzerstörenden Scheren – aus. Dadurch kommt es zu einem gegenläufigen Effekt: Es bilden sich sehr rasch die kollagenabbauenden Enzyme und diese beginnen prompt mit ihrer Vernichtungsarbeit. Mit erstaunlicher Zielsicherheit wandern sie zu allererst zu jenem Körperteil, der noch geburtsbedingte Verwundungen aufweist – in die Gebärmutter. Dort gibt es jede Menge zerstörter Zellen und verwundetes Kollagen, die die bevorzugten Adressaten der Kollagenasen sind. Dorthin pilgern sie zuerst und entfalten sie sofort ihr Zerschneidungswerk.
Wehrloses Opfer ist die Gebärmutter, die unmittelbar nach einer Geburt die Größe eines Fußballs hat und etwa zwei Wochen braucht, um wieder auf Normalgröße zu schrumpfen. In diesen 14 Tagen, in denen sich die Gebärmutter wieder auf die Größe eines Apfels oder einer Birne rückentwickelt und dabei jede Menge Veränderungen in Kauf nehmen muß, ist das Organ in seiner Wehrhaftigkeit stark eingeschränkt. Es muß zunächst schrumpfen. Das geschieht durch Kollagenasen, die unmittelbar nach der Geburt verstärkt gebildet werden und die in der Gebärmuttermuskulatur die Reduktion der dicken Muskelschicht bewirken. Parallel dazu vollzieht sich ein – wohl negativer – hormoneller Absturz, dessen Folgen einschneidend sind. Während der Schwangerschaft verfügt das Progesteron im weiblichen Körper über seine Höchstkonzentration; unmittelbar nach der Entbindung fällt die Konzentration des Gelbkörperhormons steil ab. Durch diesen abrupten Konzentrationswechsel werden die Kollagenasen richtiggehend schockmotiviert. Prompt stürzen sie sich auf den durch die Geburt leicht verletzten Gebärmuttermuskel – in dieser Phase eine verwundbare Stelle im weiblichen Körper. Die Gebärmutter wird so zum beliebten, weil wehrlosen Zielorgan der Kollagenasen. In diesem Gemetzel um den besten Platz am Trog der verwundeten Zellen werden einige dieser Enzyme abgedrängt, andere wiederum verirren sich. Sie wandern in Gebärmutternähe in andere Gewebeteile ein und enden letztlich am Beckenboden. Auch der wurde durch den Geburtsvorgang in Mitleidenschaft gezogen und gibt ein passables Ersatzbetätigungsfeld für zerstörungswillige Enzyme ab. Schließlich wurden die Kollagenfasern des Beckenbodens beim Durchtritt des Kindes überdehnt und dabei teilweise auch verletzt. Diese Schäden wirken auf die biochemischen Scheren wie ein Magnet. Scharenweise werden sie von den Zellenverletzungen angezogen und gierig beginnen sie – ähnlich wie in der geschädigten Gebärmuttermuskulatur – das Kollagen zu zerschneiden. Die Schwächung des Beckenbodens ist die unmittelbare Folge.
Die Hemmwirkung des Gelbkörperhormons wird derzeit wissenschaftlich erforscht. Erste Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, daß Inkontinenz, Beckenbodenschwäche und die Zerschneidung des Kollagens durch ein Gelbkörperhormon gehemmt werden kann. Wahrscheinlich gilt dies auch für die Zeit nach einer Operation, in der die operierten Organe vom Körper ebenfalls als verwundet eingestuft werden und dadurch vermehrte Anziehungskraft auf Zerstörungsenzyme haben. Vor allem bei Blasenoperationen ist der chirurgische Effekt vom Einbremsen der Kollagenasen abhängig. Knabbern sie das Operationsgebiet an, wird der Erfolg in Frage gestellt. Kollagenasen – zerstörende Enzyme: Mit diesem Phänomen werden sich Gynäkologen und Patientinnen noch lange befassen müssen.
Schleimhäute
Während der Schwangerschaft kann es zu einem Kalkentzug und dadurch mitunter zur höheren Kariesanfälligkeit an den Zähnen kommen. Am Ende der Schwangerschaft, manchmal auch unmittelbar nach der Entbindung sind recht häufig auch Zahnfleischveränderungen festzustellen. Es kommt vermehrt zu Parodontose – das Stützgewebe für die Zähne bildet sich zurück. Zu den Attributen der weiblichen Schönheit gehört ein gesundes Gebiß. Verständlich also, daß auch dieses im Visier der Geschlechtshormone steht. Die Parodontose entsteht im Gefolge von Entzündungen, die verschiedenste Ursachen haben können. Allerdings bedienen sich auch dabei die Bakterien jener emsigen Kollagenasen, die überall dort Aktivitäten entwickeln, wo Zellen Schwächungen zeigen. Diese »Scheren« knabbern Zahnfleisch und Verankerungsgewebe regelrecht an, um diese schließlich auf ein für die Zahnhalterung unvertretbares Minimum zu reduzieren. Die Parodontose ist somit teilweise auch eine Folge verstärkter Abbauprozesse, an denen wiederum die schon bekannten Matrixmetalloproteinasen maßgeblich beteiligt sind.
Interessanterweise ist an der Parodontose auch das Stickstoffmonoxid (chemische Formel: NO) beteiligt – ein Gas, das multifunktionell wirksam ist. In die Entwicklung von Viagra ist es ebenso involviert, wie in die Entstehung der Reizblase oder in die Erweiterung der Herzkranzgefäße. Bei allen jenen Organen, die eine glatte Muskulatur besitzen, wirkt NO erweiternd. Wegen der verstärkten Sauerstoffzufuhr ist dieser Effekt meist erwünscht. NO hat aber noch eine – wohl eher unerwartete – andere Eigenschaft: Es wirkt wie ein Geschoß, mit dem weiße Blutzellen ihre Feinde regelrecht niedermetzeln. Seine physikalischen Eigenschaften erlauben es dem NO, die Zellmembran von Bakterien und Viren unter Beschuß zu nehmen, aufzubrechen und damit die Feinde des Körpers zu liquidieren.
Dieser Eigenschaft kommt im Mund und in der weiblichen Scheide eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Mund und Scheide sind Körperöffnungen, die – will man das Eindringen gefährlicher Feinde verhindern – ganz besonders sorgfältig überwacht und geschützt werden müssen. Üblicherweise verfügt der menschliche Körper über genügend weiße Blutkörperchen, mit denen eingedrungene Feinde sofort getötet werden können. In Mund und Scheide verläßt sich aber der menschliche Organismus nicht mehr nur allein auf die weißen Blutkörperchen. In diese beide Öffnungen hat die Natur zusätzliche Schützengräben eingebaut, aus denen heraus auftauchende Feinde sofort mit scharfer Munition bekämpft werden.
Als gefährliches Geschoß dient dabei das NO. Dieses Gas ist in jenen Öffnungen permanent als Wolke präsent, durch die jeder herankommende Feind sofort liquidiert wird. Der Mund ist somit ein durch weiße Blutkörperchen und NO doppelt abgesichertes Sperrgebiet, in das Viren oder Bakterien nur unter widrigsten Umständen eindringen können.
Diesem clever konstruierten Abwehrmechanismus begegnet man auch in der Scheide der Frau. Dabei wird das mit der Nahrung zugeführte Nitrat in den Zellen der Scheide (bzw. des Mundes) als Nitrit eingelagert. Wenn der Säuregrad der Umgebung sinkt, wird vom eingelagerten Nitrit permanent NO abgegeben. Dazu werden aber Milchsäurebakterien benötigt, die die Scheide (bzw. im Mund den Raum zwischen den Zähnen) kontinuierlich ansäuern. Diese Milchsäurebakterien tragen somit die Verantwortung dafür, daß das scharfe Geschoß NO überhaupt freigesetzt wird. Fehlen aus irgendwelchen Gründen in der Scheide diese Milchsäurebakterien, bildet sich sehr häufig als Folge des Fehlens der NO-Munition, eine Entzündung oder Pilzerkrankung.
Im Mund gibt es gelegentlich ein Überangebot an NO, das wiederum ein ganz neues Problem beschert. Auslöser ist die Schokolade, die von vielen Frauen oft mit Heißhunger verspeist wird. Schokolade setzt vermehrt Milchsäure frei, und viele Milchsäurebakterien im Mund bewirken eine NO-Überproduktion. Diese richtet sich primär gegen Keime; gelegentlich schießt sich das NO aber auch auf das körpereigene Gewebe ein. Dieser Effekt führt dann zur Beschädigung der Zahnfleischzellen – und die Parodontose nimmt ihren zerstörenden Lauf.
Selbstverständlich sind Veränderungen des Zahnfleisches, bzw. deren Verhinderung, Aufgabe ausreichenden Zähneputzens und richtiger Zahnhygenie. Ist jedoch das Schwangerschaftshormon Progesteron in ausreichender Menge vorhanden, kann die Parodontose wirksam bekämpft werden.
Der vorerst noch sehr kühne Zusammenhang zwischen Zahnfleischproblemen und Schwangerschaftshormon bedarf allerdings einer Erläuterung. Vereinfacht dargestellt, sind es wieder die »biologischen Scheren«, die den kausalen Konnex herstellen. Diese Kollagenasen zerstören das Zahnstützgewebe, sobald es Entzündungstendenzen zeigt. Und das Progesteron stärkt das Kollagen, also das Bindegewebe. Ist das Schwangerschaftshormon ausreichend vorhanden, wird es das Zahnfleisch vor den »Scheren« ausreichend schützen; ist es defizitär, nimmt die Parodontose unweigerlich ihren Lauf.
Die Natur ist, was ihren Einfallsreichtum betrifft, bekanntlich sehr verschwenderisch. Haben sich irgendwelche Mechanismen aber einmal bewährt, werden sie von der Natur in verschiedensten Abwandlungen hemmungslos immer wieder zum Einsatz gebracht. Vergleichbar ist das mit einer schön komponierten Musik: Ihr Schöpfer findet ein Leitthema, das er in abgewandelter Form immer wieder – als Symphonie oder Sonate – zum Einsatz bringt.
Die Kombination von Stickstoffmonoxid und Progesteron ist ein bewährtes Team, das von der Natur nicht nur in Mund und Scheide eingesetzt werden will. So findet man jenen Zerstörungsmechanismus, der an den Zähnen den Schwund des Zahnfleisches bewirkt, auch in den Venen. Venektasien (Besenreiser), vor allem aber Krampfadern sind Probleme, die vorwiegend beim weiblichen Geschlecht auftreten. Man könnte sie deswegen fast auch schon als gynäkologische Erkrankung bezeichnen. Auch bei den Venenproblemen teilen sich die an der Entstehung Mitwirkenden, das Progesteron und Stickstoffmonoxid, unterschiedliche Aufgaben zu. Und wiederum sind die zerstörerischen Kollagenasen beteiligt.
Venen
Jedes Blutgefäß, also auch die Venen, sind von einer Kollagenschicht umgeben, der ihnen Halt und Festigkeit verleiht. Werden nun die Venen durch mechanische Belastungen strapaziert, reißen die Kollagenfäden innerhalb der Venen leicht ein. In diesem Fall sind sofort die Metalloproteinasen zur Stelle und beginnen ihre Abbauarbeit. Diese ist sehr oft überschießend und löst somit die Verankerungsschicht der Blutgefäße regelrecht auf. Das gleiche Phänomen ist an der Gebärmutter oder am Beckenboden zu beobachten. Ist bei den Venen das NO für deren Erweiterung verantwortlich, so löst die Zerstörung (Mediziner sprechen von einer »Degraduierung«) der dünnen Kollagenschicht eine zusätzliche Gefäßschwäche aus.
Möglicherweise wird bei solchen Leiden schon bald das Progesteron helfen können. Ob das Schwangerschaftshormon – und in welchem Umfang – Venenprobleme in den Griff bekommen kann, wird derzeit noch medizinisch erforscht. Die Wissenschaft ist vorerst noch auf Analogieschlüsse angewiesen.
Da gibt es beispielsweise den Schmerz der weiblichen Brust (die sogenannte Mastalgie), der durch das Schwangerschaftshormon beseitigt werden kann. Das Progesteron wird dabei als Gel auf die schmerzende Stelle der Brust aufgetragen und die Schmerzen werden sehr effizient gelindert. Dieser Mechanismus der Schmerzreduktion bei mastalgischen Beschwerden beruht auf folgendem Prinzip: Aus irgendwelchen – nicht selten hormonellen – Gründen erweitern sich die Gefäße extrem stark und die Frau empfindet Schmerzen in ihrer Brust. Zweck einer Therapie ist es nun, jene Gefäße, die die Brust durchziehen, wieder zu verkleinern, oder – wie es in der medizinischen Fachsprache heißt – enger zu stellen. Dies geschieht durch Auftragen von Progesterongel. Das Schwangerschaftshormon wirkt dabei offensichtlich dem gefäßerweiternden NO entgegen, sorgt für eine Gefäßverkleinerung und reduziert dadurch den Schmerz. In diesen Fällen ist das Progesterongel als Therapeutikum bereits akzeptiert und zugelassen.
Analog dazu ist die Venenproblematik zu beurteilen. Frauen, die die Pille nehmen, oder Frauen mit Östrogen-bedingtem Venenschmerz, können das gleiche Progesterongel verwenden wie bei einer Mastalgie (vorerst noch im Versuchsstadium). Unter Laborbedigungen kann dabei eine Linderung der Venenleiden beobachtet werden. Ob das Progesteron auch zum Kollagenaufbau, bzw. zur Verhinderung eines übermäßigen Kollagenabbaues herangezogen werden kann, bedarf noch einer medizinischen Klärung. Sie ist in Kürze zu erwarten. Vorerst steht aber fest, daß das »tissue remodelling« auch die Blutgefäße, und damit auch die Venen betrifft und daß dies ein weiterer Aspekt des Alterns ist.
Das Stichwort »Östrogen-bedingter Venenschmerz« ist bereits gefallen. Daß eine Schwangerschaft mit Problemen verbunden sein kann, ist bekannt; desgleichen das Einnehmen von Hormonen (und damit der Pille). Venenleiden sind eines dieser Probleme.
Bei einer Schwangerschaft ist es weniger die mechanische Belastung, die Venen hervortreten und Besenreiser entstehen läßt, es sind vielmehr biochemische Umstellungen, die in sehr komplizierter Weise mit der Reproduktion in Zusammenhang stehen.
Es beginnt damit, daß für eine Schwangerschaft eine ausreichende Blutversorgung von eminenter Bedeutung ist. Das Wachstum des Kindes und die Funktionssteigerung zahlreicher mütterlicher Organe sind nur dann garantierbar, wenn genügend Sauerstoff, Nährstoffe und damit Blut in das heranwachsende Kind und in die Organe der Mutter fließen können. Das Östrogen hat, dem Schöpfungsplan der Natur entsprechend, die Aufgabe übernommen, während einer Schwangerschaft die Blutgefäße der Frau weiterzustellen, sie also querschnittsmäßig zu vergrößern. Dies trifft natürlich auch auf die Venen zu. Ihr Durchmesser wird während der Gravidität größer. Sehr oft bleibt er auch noch nach der Entbindung groß – zumindest größer als er vor der Schwangerschaft war. Durch die Querschnittvergrößerung entstehen die Krampfadern. Ähnliches geschieht unter der Pille, einem künstlichen Hormon, das dem weiblichen Körper zugeführt wird. Venenbeschwerden während einer Östrogentherapie, aber auch unter Ovulationshemmern (Pille) sind keine Seltenheit. Im Gegenteil: Sie kommen, wie Frauen in den Ordinationen der Gynäkologen berichten, sogar recht häufig vor. Das Hervortreten der Venen, aber auch das Entstehen von Besenreisern wird durch das Stickstoffmonoxid ausgelöst, das in diesem Fall unter dem Einfluß eines Östrogen-Abkömmlings, nämlich dem 17-Beta-Östradiol, steht. Kein Vorteil ohne Nachteil also: Das Östrogen, das auch für die Durchblutung des schwangeren Körpers verantwortlich ist, erweitert zwar, um die Ernährung des heranreifenden Kindes sicherzustellen, die Blutgefäße, es kommt aber dabei mitunter auch zur Bildung von Krampfadern und Besenreisern.
Die Medizin ist allerdings zu weiteren, ganz aktuellen Erkenntnissen über das weibliche Gefäßsystem gelangt. Es gibt ganz spezielle Gefäßschwächen, die vor allem an Arterien auftreten. An bestimmten Stellen des Gefäßes entsteht eine lochförmige Wandausweitung – das lebensbedrohende Aneurysma. Diese Erkrankung muß als extrem schwer eingestuft werden. Sie entsteht nicht, wie eine zeitlang vermutet wurde auf mechanische Weise, sondern als Folge des Einwirkens von Abbauenzymen.
Auslösend mag dabei möglicherweise eine mechanische Belastung sein. Viel wahrscheinlicher ist eine lokale Entzündung oder gar ein Sauerstoffmangel, wie er beim Rauchen gelegentlich auftritt. Durch dieses Initialereignis wird an bestimmten Stellen der Arterie ein Kollagen-auflösendes Enzym stimuliert, das sich in die Wand des Blutgefäßes hineinfrißt. An dieser Stelle entsteht eine Gefäßschwäche, daraus ein Aneurysma. Ob in solchen Fällen das Gelbkörperhormon prophylaktisch eingesetzt werden kann, ist wissenschaftlich noch nicht abgesichert. Allerdings spricht einiges dafür.
Es bleibt aber dabei: Die Hauptaufgabe des Progesterons ist die Überwachung der Schwangerschaft und die damit verbundene Schutzfunktion. Das Schwangerschaftshormon greift in phänomenaler Weise in die Verteidigungsmaschinerie des weiblichen Körpers ein. Es stärkt die Abwehrkraft, macht den Organismus resistent gegen Feinde und ist auch sonst unermüdlich schützend tätig.
Im Bereich der Scheide ist die Frau ganz besonders gefährdet. Das Organ besitzt eine direkte Verbindung zur Gebärmutter. Durch diesen Gang kriechen vor allem die Samenfäden empor. Über ihn können aber auch Erreger in die Gebärmutter vorstoßen. In einer Schwangerschaft hätte das verheerende Konsequenzen.
Es ist nun die Aufgabe des Progesterons, den weiblichen Organismus, auch jenseits der Schwangerschaft, vor lebensbedrohenden Infektionen zu schützen. Dabei stimuliert das Progesteron die sogenannten Langerhans’schen Zellen (Abwehrzellen des Gewebes), eindringende Viren und Bakterien so zu markieren, daß sie – wie auf einem Präsentierteller – den weißen Blutkörperchen zum Fraß vorgeworfen werden können. Dieser durch das Progesteron ausgelöste Schutzmechanismus funktioniert auch dann, wenn keine Schwangerschaft vorhanden ist. Und möglicherweise ist er auch in der Krebsprophylaxe von Bedeutung, da Karzinomzellen auf ähnliche Weise entsorgt werden. Die medizinische Wissenschaft schließt daher nicht aus, daß dem Schwangerschaftshormon auch noch die Perspektive einer krebsabwehrenden Substanz zukommt.
Gehirn
Das Altern geschieht auch im Gehirn, aber es scheint, als wäre das Schwangerschaftshormon in der Lage, während der Gravidität diesen sehr langsam verlaufenden Alterungsprozeß zu unterbrechen. Plakativ gesagt, scheint es als stünde während einer Schwangerschaft die Zeit still und das Älterwerden sei dabei gestoppt.
Das Gehirn besteht nicht nur aus Nervenzellen, sondern auch aus Nährschichten, die diese Zellen umgeben, sie versorgen, Nährstoffe heranschaffen und sie vor Feinden schützen. Nicht die Nervensubstanz nimmt im zunehmenden Lebensalter ab, die Schutzschichten unterliegen dem Verschleiß. An ihnen nagt der Zahn der Zeit, was zur Folge hat, daß die Nervenzelle nur noch ungenügend mit Nährstoffen versorgt wird und dadurch degeneriert. Alle Indikatoren deuten darauf hin, daß die Schwangerschaft den Degenerationsprozeß für einige Monate unterbricht. Zumindest ist das eine interessante Arbeitsthese.
Ganz gesichert dagegen ist, daß das Progesteron diese als »Myelinscheide« bezeicheten Schutz- und Ernährungsschichten der Nerven nicht nur schützt, sondern auch regeneriert. In der Neurologie wird daher überlegt, Progesteron bei degenerativen Nervenerkrankungen therapeutisch einzusetzen.
Einen aufregenden Einfluß übt das Gelbkörperhormon auf die Zellmembran aus. Seit jeher werden diese kleinen Organteile unterbewertet. Immer wieder werden sie mit Zäunen verglichen, die rund um Häuser angeordnet sind. Aber dieser Vergleich hinkt: Die Zäune sind in diesem Fall genauso wichtig wie die Häuser selbst. Sie sind fundamental in das Phänomen Leben involviert. Leben hängt von jener Energie ab, die in den menschlichen Zellen produziert wird. Die Kraftwerke, die innerhalb dieser Zellen die Energie liefern, heißen Mitochondrien. Fehlt diese Energie, dann ist die Zelle aktionsunfähig. Sie kann keine chemischen Substanzen mehr verknüpfen, keine enzymatischen Schritte mehr einleiten und auch sonst keine Aktionen mehr vollbringen. In diesem Fall bräche die Impulsübertragung der Nervenzellen zusammen, es gäbe auch keine Kontraktionen von Muskelfasern mehr. Das alles sind Funktionen, die von jener Energie abhängen, die von den Mitochondrien in den Zellen erzeugt wird.
Diese »Kraftwerke der Zelle«, wie Mitochondrien auch genannt werden, funktionieren wie eine ganz normale Batterie. Entlang einer Membran baut sich Spannung auf, und durch das Zusammenfließen der Ionen entsteht dann Strom, der in Energie umgesetzt werden kann. Die Integrität (Unversehrtheit) dieser mit einer Batteriemembran vergleichbaren Trennschicht ist die Grundvoraussetzung für die Entstehung von Strom, und damit von Energie. Ist diese Membran verletzt oder alt, kann die Zelle nicht mehr ausreichend Kraft erzeugen. Auf den Punkt gebracht, ist also ein einfaches Häutchen – die Membran der Zellkraftwerke – für die wichtigsten Lebensvorgänge maßgebend. Die Funktionsfähigkeit dieser Trennschicht hängt von ihren Bestandteilen ab: Fettsäuren, die sich mit Kohlenhydraten verbinden und zusätzlich noch Eiweißkörper aufnehmen. Den entscheidenden Anteile an diesen Bestandteilen haben jedoch die Fettsäuren, die perlschnurartig aneinandergereiht, den Hauptbaustoff der mitochondrialen Wand beisteuern. Den Fettsäuren verlangt die Natur eine gewisse Flexibilität ab. Schon die geringste Beeinträchtigung kann diese Fettsäureketten untauglich machen. In einem sehr komplexen Vorgang greift nun das Gelbkörperhormon Progesteron ins Geschehen ein. Es fällt Monat für Monat unmittelbar vor der Menstruation ab und unterliegt Schwankungen in- und außerhalb einer Schwangerschaft. Diese Schwankungen stimulieren jene Bewegung, die für die Regeneration der mitochondrialen Membran mitverantwortlich ist. Wechselt die Konzentration des Progesterons, werden beschädigte Fettsäuren aus der mitochondrialen Membran herausgespalten und durch gesunde ersetzt. Das Progesteron bewirkt damit eine permanente Regeneration jener Bestandteile der Zellkraftwerke, die den Lebensmotor ständig mit Energie versorgen. Letztlich hält das Progesteron dadurch das Leben in Schwung.
Warum aber wird das Progesteron zu den Hormonen der Weisheit gezählt? Die Antwort ist einfach: Es gibt außer ihm kein körpereigenes Kommunikationsmittel, das in gleichzeitig viele und derart komplexe Vorgänge des menschlichen Körpers involviert ist und dabei in den ineinandergreifenden Systemen mühelos seine optimale Wirkung entfaltet.
Das Progesteron ist das mit Abstand weiseste aller Hormone; mit Sicherheit aber eines der wichtigsten, denn es schützt das werdende Leben und die Frau, die durch ihren Körper dieses Leben beschützt.