Kinderwunsch und IVF

Ein bis vier Prozent der in Europa geborenen Kinder haben – bzw. deren Eltern – reproduktionsmedizinische Hilfen in Anspruch genommen. Dabei verschiebt sich die Ursache für die Kinderlosigkeit: während man früher vor allem bei der Frau die Ursache für die Kinderlosigkeit suchte, weiß man heute, dass die Gründe für die Infertilität ungefähr halb : halb zwischen den Geschlechtern verteilt sind. Ca. 50% liegen bei der Frau, 40% beim Mann, bei 10% findet man keine Ursache, man spricht von einer anexplen Fertilität.

Jedes fünfte bis siebente Ehepaar hat in Österreich Schwierigkeiten, Kinder zu bekommen. Die Ursachen liegen nicht nur bei der Frau, sondern in 40% auch beim Mann. Erkenntnisse der Endokrinologie, der Urologie und der Molekularbiologie haben die Möglichkeiten, kinderlosen Ehepaaren zu helfen, erweitert.

Verbesserungswürdig hingegen ist noch das öffentliche Bewußtsein, das mitunter dem Kinderwunsch Unverständnis und Ratlosigkeit entgegenbringt. Mit dem Hinweis, daß in manchen Teilen der Erde zu viel Kinder geboren würde, wird das berechtigte Anliegen von Ehepaaren, selbst ein Kind zu bekommen, in Frage gestellt. Abgesehen davon, dass es zu den natürlichsten Rechten der Welt gehört, selbst ein Kind zu bekommen, wäre es auch aufgrund der jüngsten demographischen Verschiebungen mehr als sinnvoll, Ehepaaren zu helfen, die eine Familie gründen wollen.

Ähnlich wie in den anderen Disziplinen der Gynäkologie greift auch in der reproduktiven Medizin die molekularbiologische Technik und bringt völlig unerwartete Zusammenhänge zutage, die man heute mit Überraschung zur Kenntnis nimmt, die aber morgen schon therapeutisch genützt werden können. So sehr die In-vitro-Fertilisierung und die Sperma-Injektion ein Quantensprung in der Behandlung von Sterilitätsfällen sind, so stellen sie andererseits doch nur operative Techniken dar, die zwar manche Probleme lösen, die komplexen Zusammenhänge, die meist dafür verantwortlich sind, warum Frauen nicht schwanger werden – sieht man vom Tubenverschluß ab –, aber nicht klären.

Für die Empfängnis, die Nidation, aber auch für die Invasion des Trophoblasten und die ersten Lebenstage des Früh-Embryos ist das Zusammenspiel zahlreicher Faktoren, parakrine Hormonfluktuationen und lokale Gewebsimpulse, die ausschließlich innerhalb des Trophoblasten oder in der Dezidua stattfinden und im peripheren Blut nicht meßbar sind, von essentieller Bedeutung. Das komplementäre Zusammenspiel von Metalloproteinasen und Adhäsionsproteinen steuert die Invasion des fetalen Gewebes und gehorcht dabei strengen Gesetzmäßigkeiten. Vor allem aber werden in der frühen Schwangerschaft Enzym- und Proteinsysteme abberufen, die im späteren adulten Leben völlig andere Funktionen wahrnehmen, in der Frühschwangerschaft aber für die Einnistung und für die ersten Entwicklungsstufen des Embryos von hoher Wichtigkeit sind. Gerade dies ist ein faszinierendes Gebiet der Reproduktionsmedizin, durch das zweierlei symbolisiert wird: Einerseits hat man den Eindruck, daß die Evolution ein überschaubares Set von Proteinen und Steuerungsmolekülen bereithält, das von der embryonalen Entwicklung über das adulte Wachstum bis in den Alterungsprozeß hinein in unterschiedlicher Weise und für immer andere Funktionen herangezogen wird; andererseits wird aber die Tatsache, daß die gleichen Moleküle sowohl das intrauterine als auch das extrauterine Wachstum steuern, auch so gedeutet werden, daß zwischen embryonalem und adultem Leben nicht klar getrennt werden darf, sondern daß sie nur als Phasen anzusehen sind, über die im Prinzip die gleichen Steuerungseinheiten wachen.

Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Erkenntnisse der Molekularbiologie in die Abklärung und in die Behandlung der Sterilität Eingang finden. Bis dahin ist man auf die konventionelle Abklärung und Behandlung des kinderlosen Ehepaares angewiesen, durch das man aber auch einem Teil der Betroffenen helfen kann.