Während die Inhalte des Ibiza Videos noch immer in der österreichischen Innenpolitik nachbeben, wird über Personen, Art und Weise, wie dieses Video entstand , – abgesehen von den für den laufenden Wahlkampf jeweils nützlichen Aspekten – nur halbherzig recherchiert : besteht vielleicht ein Interesse, die Dinge nicht wirklich zu erhellen oder ist es eine Art Ruhe vor einem weiteren Sturm; dabei würde gerade die Genesis dieser Dokumentation Anlaß gaben, über zwei alteuropäische Fragen nachzudenken, nämlich : heiligt ein besonderer Zweck tatsächlich alle Mittel und vermischt sich dabei die Gewaltenteilung des modernen Rechtsstaates: Geschichtsvergleiche drängen sich auf: Über Jahrhunderte rechtfertigte das Ziel, die reine kirchliche Lehre zu erhalten alle Mittel, die dafür notwendig erschienen: Inquisition, Index unerwünschter Meinungen und auf den Pranger stellen.
Die Glaubenskämpfe von damals ähneln den Wahlkämpfe von heute, sie haben eines mit ersteren von gestern gemeinsam: nicht um eine dogmatische Aussage, wohl aber um die politische Mehrheit zu halten, werden in höchst raffinierter Weise selbst fragwürdige Mittel durch dieses Ziel geheiligt.
Dabei hat sich die politische Kriegsführung von der zivilen Rechtssprechung sehr wohl entfernt:
Denn daß selbst bei Todesgefahr nicht jedes Rettungsmittel erlaubt war, sah man, als am 27. September 2002 der deutsche Jura-Student Magnus Gäfgen den Bankierssohn Jakob von Metzler auf dem Schulweg entführte; Im Rahmen der Fahndung und in der Hoffnung, den Entführten noch lebendig zu finden , versuchte der ehemaligen stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner unter Androhung von Schmerzen dem Entführer das Versteck des Opfers zu entlocken – leider zu spät, das Opfer war bereits ermordet. Der Polizeibeamte wurde angeklagt und verurteilt, da auch die mögliche Rettung eines Menschenlebens nicht die dafür angewandten Mitteln gerechtfertigt hätten.
Ob es allerdings Ziele gibt, die – auch eine mediale Verletzung des Datenschutzes und des persönlichen Bereiches rechtfertigen , wird derzeit intensiv diskutiert.
Bereits 2013 hat Hans Magnus Enzensbacher 2013 bei einer Diskussion um die als Affaire eingestufte Überwachung linker Gewaltgruppen unter Einschränkung deren persönlicher Datenschutzzone in einer ARD Sendung mit Frank Schirrmacher die rechtliche Fragwürdigkeit der dabei verletzten Privatsphäre mit publikatorischer Unterstützung thematisiert:
„In jeder Verfassung der Welt steht ja ein Recht auf Privatsphäre, Unverletzlichkeit der Wohnung und so weiter … das sind ja lange Passagen. Das ist abgeschafft! Das heißt, wir befinden uns in postdemokratischen Zuständen.“
Heimliche Bild und Tonaufnahmen sind nach deutschem Recht verboten, die Fabrikation des Ibizavideos wäre demnach illegal. Denn der Schutz der “ Intimität des Menschen , sein Anspruch auf Geheimhaltung seiner persönlichen Daten, Eigenschaften und Handlungen; der Schutz seines persönlichen Bildes vor Weitergabe oder Veröffentlichung“ gehören entsprechend Artikel 12 zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Bei ideologischen und politischen Randgruppen scheint das jedoch anders zu sein: Werden Rechtpopulisten in die Falle gelockt, so wird diese „Illegalität“ mit dem hohen öffentlichen Interesse an den Gedanken eines Politiker gerechtfertigt – die vielen Wenn und Abers, die es bei der Überwachung von Gewalttätigen zum Schutz der Staatsbürger vorgebracht werden, scheinen hier ausgeblendet zu sein – zumindest in den primären Reaktionen.
Da allerdings nach dem derzeitigen Wissenstand die gewonnenen Informationsinhalte weder die Republik gefährdeten – es wurde ja von den Betroffenen repetitiv die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit angesprochen – noch einen konspirativen Plan (wie z.B. den Anschluß Österreichs an die Ukraine) ans Licht brachten – kommt Zweifel auf, ob die angewandten Mittel wirklich durch einen hohen Zweck gerechtfertigt waren. Und Zweifel kommen auf, ob die vorgesehene Weg der Rechtsstaatlichkeit eingehalten wurde: denn selbst wenn man das Interview so interpretiert, daß in steuerbetrügerischer Art Gelder entgegengenommen und Gegenleistungen durch politische Entscheidungen erkauft werden sollten, wären jene Instanzen a prioiri vorgegeben gewesen, die der freiheitliche Rechtsstaat vorsieht – man hätte die Videos den Gerichten übergeben könen und im Rahmen der Pressefreiheit über das Prüfungsprodezere der Justiz bis hin zu einem eventuellen Urteil berichten können.
Denn rechtlich suspekt war ja der Hintergrund der story gewesen sein, die im Vorfeld um viel Geld angeboten worden war- von Zeitgenossen, die mit dem Rechtsstaat in unangenehmer Weise mehrmals in Berührung gekommen waren und gegen die dann wegen des Verdachtes von Urkundenfälschung, des Mißbrauchs von Ton und Abhörgeräten und der Verletzung des Datenschutzes ermittelt wird. Dies alles wären Gründe gewesen, die Sache vorwegs der Justiz zu überantworten , die dann auch das gemacht hätte, was die zweite Gewalt vorsieht: nämlich die Beschuldigten mit dem inkriminierenden Tatbestand zu konfrontieren, ihnen das Video in voller Länge zur Verfügung zu stellen und wichtige Begleitumstände zu klären, wie z.B. die Frage, ob unter Umständen schon Halluzinogene a priori in den Getränken enthalten waren etc etc. Dies vor einer Veröffentlichung zu klären, wäre Rechtsstaatlichkeit vom Feinsten gewesen, – ist allerdings nicht geschehen, die vierte Gewalt hat die Kompetenz der zweiten Gewalt übernommen, hat eine öffentliche Rechtssprechung ausgeübt und die Betroffenen – ohne Gegenrede – eigentlich zum politischen Tod verurteilt – und das aus der innersten Überzeugung, daß man rechtens handelt, ähnlich wie die Inquisatoren vergangener Zeiten
Die Gewaltentrennung des Rechtsstaates zu vermischen, scheint auch in der Ibizageschichte zum Symptom einer Erkrankung zu werden, für die es andere und auch prominente Beispiele gibt:. Denn auch die – emotional verständliche – aber rechtsstaatlich fragwürdige Exekution Bin Ladens, per Video ins ovale office übertragen, ging an den eigentlich dafür zuständigen Gerichten vorbei. Natürlich hatte er die freiheitliche Seele der Welt verletzt und Amerika drängte darauf, diese schmerzende Rechnung zu begleichen , aber Todesurteile können nicht vom Weißen Haus oder anderen Meinungszentren verkündet werden und die Exekution liegt – ausserhalb des Krieges – nicht in den Händen des Militärs.
Das stimmte auch damals die angelsächsischen Akteure nicht bedenklich – im Gegenteil: Dass in diesem Fall der Zweck die Mittel geheiligt hat und ohne Gerichtsurteil durch die dafür vorgesehnen Rechtsvertretern das Todesurteil vom Militär ausgeführt wurde , ist von einzelnen amerikanischen Medien mit Begeisterung begrüßt worden – übernahm damals die vierte Gewalt auch die ethisch extrem schwierige Güterabwägung, die bisher auch nur den Gerichten, eventuell noch den Philosophen und Ethikern vorenthalten war?
Auch bei der Veröffentlichung des Ibiza Videos rechtfertigte der Zweck das Hinwegsetzen über alle Regeln des Datenschutzes. Wenn Tristan Brenn, Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, in einem Tweet jubelte «Der Fall Strache zeigt, wie eminent wichtig versteckte Bild- und Tonaufnahmen bei der Recherche sind“ oder wenn bei der Verleihung eines österreichischen Pressepreises ausdrücklich den beiden Zeitungen gedankt wird, daß sie so viel Gutes zur Entlarvung der Rechtpopulisten beigetragen haben – ohne das Prozedere auch nur mit einem Wort zu hinterfragen. Ist der Verzicht auf die vorausgehende notwendige rechtliche Klärung nicht eine Art Rückkehr zum Mittelalter in Gestalt des digitalen Prangers, in der eine eigentlich populistische Grundstimmung der Häme erzeugt werden soll – und die Bloß-stellung des Anderen – vor allem des
politischen Gegners – als eigener moralischer Triumph gefeiert wird.
Erinnert das nicht an Brechts „Die Maßnahme“ – wer eine bessere Welt will – muß töten können – und zwar mit guten Gewissen und auch ohne Gerichte – wer die Welt von Rechtspopulisten befreien möchte, dem sind keine ethischen Grenzen gesetzt – auch nicht in den social media und beim dirty campaigning.
So diente bereits in der französischen Revolution „der Korb, in den die abgetrennten Köpfe fallen“, gewissermaßen als Wahlurne , „in der – ex negativo – durch reinigende Wahlen die Stimmen für den Gemeinwillen gesammelt werden… Der Korb sammelt die Minderheiten, die sich dem Willen der Allgemeinheit nicht angeschlossen haben“ (Philip Manow, Im Schatten des Königs). Damit wird jedes Mittel legitimiert, wenn ein hohes politisches Ziel angestrebt wird. Menschen werden nicht mehr wegen Glaubensunterschiede verfolgt und getötet, sondern wegen unterschiedlicher politischer Auffassung.
Auch der dritte Präsident der Vereinigten Staaten und spiritus rector der Unabhängigkeitserklärung Thomas Jefferson stieß in das gleiche Horn und rechtfertigte jedes, auch von der Rechtssprechung unabhängigies Vorgehen, wenn der entsprechende Zweck vorhanden wäre
Man könne nicht erwarten, „den Übergang vom Despotismus zur Freiheit in einem Federbett zu erleben…… .. lieber hätte ich die halbe Welt verwüstet, als ihr Scheitern gesehen; wären in jedem Land nur ein Adam und eine Eva übrig geblieben, und wären sie aber frei, so wäre das besser als der jetzige Zustand.“
Brechts Frage, wie weit die Revolution moralische und auch rechtkche Grundsätze verletzen darf, um Ausbeutung und Unterdrückung wirksam zu bekämpfen, war eigentlich an die marxistische, menschenverachtende Terrorherrschaft Lenins und Stalins gestellt; Lobreden für die Kämpfer gegen Kontrarevolutionäre gab es auch damals schon zahlreiche, getragen – und das war das novum – von einer neuen, „zweiten Ethik“, die selbst den rechtswidrigen ohne Gerichte vorgehenden Mitteln die Absolution erteilte, wenn sie nur sinistroponierten Zielen dienten und die darüberhinaus auch noch ein moralischen Belohnungssystem entstehen ließ.
Dass nicht nur kriegerische Gegner sondern auch politisch Andersdenkende exekutiert wurden, war eine der dunkelsten „Leistungen“ des zwanzigsten Jahrhundert: so brachte es im Dezember 1937 – anlässlich der Feiern zu 20 jährigen Bestand des „Volkskommissariates für innere Sicherheit“ (NKWD) Nikolaj Jeschow, ein „kleinwüchsiger Verwaltungsbeamter mit authentisch sadistischen Obsessionen“ auf den Punkt, als er allen Mitarbeitern des Terrorapparates gratulierte, sie hätten der Versuchung widerstanden, auf das Niveau politischer Spießbürger herabzusinken“ – der Spießbürger schreckt ja vor dem Töten zurück“ (Peter Sloterdijk). Überfliegt man in Wahlkämpfen die Eintragungen in den social media – so scheint sich hier eine neue Art eines „Volkskommissariates“ erhalten zu haben – man schreckt vor keine Lügen, verbalen Gewaltätigkeiten, Unterstellungen und Beleidigungen zurück, um den politischen Gegner zu vernichten. Eine dunkle Spur scheint bis heute erhalten geblieben zu sein.
Der Zweck heiligte die Mittel der Schreckensherrschaft, was aber auch damals schon – in den eigenen Reihen hinterfragt wurde und Arthur Köstler – anlässlich des Terrors zahlloser Schauprozesse – in seinem Roman „Sonnenfinsternis“ die gezielt Frage stellen ließ, ob selbst bei der Durchsetzung des Sozialismus wirklich alle Mitteln erlaubt sein dürften.
In fast Dostojewskischer Art und Weise reflektierte er über die Zeit, als noch die Illusion vom guten Zweck alle Mitteln geheiligt hat. „Vielleicht war es unzulässig, sich von allen Fesseln zu befreien, die Bremsen des `Du sollst nicht` und `Du darfst nicht`zu lockern und hemmungslos aufs Ziel zuzugehen…..es war ein Fehler im System! Vielleicht lag es in dem Satz, den er (Nikolas Rubaschow, Hauptfigur des Romans – Nikolai Bucharin nachempfungen) bisher für unwiderlegbar gehalten hatte, in dessen Namen er andere geopfert hatte und selbst geopfert wurde: in dem Satz, daß der Zweck die Mittel heiligt.
Dass dieser Ethikverlust nicht unreflektiert und noch dazu ohne Gewissensbisse hingenommen wurde, hat auch Thomas Mann im Zauberberg beschäftigt und noch der Jetztzeit eine indirekte Warnung mitgegeben:
Anhand der düsteren Figur des Fanatikers Leo Naphrta zeichnet er eine Gestalt, die bemüht war, allen Unmenschlichkeiten eine dogmatische Grundlage zu geben – er bezeichnet dies als die „zweite Ethik“, die den Terror rechtfertigt, wenn damit das Ziel erreicht wird.
Am 3. Mai vor 550 Jahren wurde Machiavelli geboren, der, obwohl für seine Zeit diagnostiziert – mit einer ihm zugesprochen pessimistischen Kulturdiagnostik die Entwicklung der nächsten Jahrhunderte seherisch vorwegzunehmen schien: um an der Macht zu bleiben, würde jedes Mittel für diesen Zweck geheiligt werden – unabhängig von Rechtsstaatlichkeit und Moral . Über Jahrhunderte sind Machthaber unterschiedlicher Weltanschauung dem gefolgt – seit der französischen Revolution, vor allem aber seit Lenin, Stalin und Hitler wurde dafür das schlechte Gewissen abgeschafft- :
Getötet wird dabei nicht nur der körperliche Feind, sondern man begann, auch den politisch Andersdenkenden zu exekutieren – zu Beginn des vergangenen Jahrhundert physisch – zu Beginn dieses Jahrhunderts – medial.
Daß dies – nach Meinung politischer Auguren die wirkliche Erklärung dafür wäre, daß jene Kräfte einer Gesellschaft, die das konsequent exekutieren und die momentan im radikalen dextro- und sinistroponierten Lager angesiedelt sind am Ende jene immer besiegen werden, bei denen sich doch noch der Rest eines Gewissens regt – ist eine interessante Überlegung , die auch vor dem Hintergrund des Ibiza Videos angedacht werden könnte. Stefan Brink, Landesdatenschutzbeauftragter von Baden Württemberg, sieht in der Bloßstellungs-Euphorie deswegen auch eine Gefahr: „Wenn wir politische Gegner hintergehen, ihre Privatsphäre verletzen und sogar kriminelles Unrecht begehen, schaden wir letzten Endes unsere politische Kultur und damit uns selbst.“
Univ.Prof. DDr. Johannes Huber ist Mediziner und Theologe. Nach seiner Habilitation an der medizinischen Fakultät der Universität Wien wurde er 1992 Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am AKH in Wien. Er war korrespondiendes Mitglied des Kuratorium Alpbach, Mitglied des Obersten Sanitätsrates und leitet bis 2007 die Bioethikkommission der österreichischen Bundesregierung. Daneben beschäftigte er sich publikatorisch auch mit weltanschaulichen Fragen und konnte dabei mit Sir Karl Popper korrespondieren, der seine Ausführungen zur Evolution kommentierte.
Freiheit schafft Freiheit auch für die Abschaffung der Freiheit. Popper will dieses Paradox der Freiheit (ebenso das Paradox der Toleranz und das der Demokratie) vermeiden, indem er diejenigen aus der politischen Willensbildung ausschliesst, die Freiheit, Toleranz und Demokratie ablehnen. Auch wer eine solche Konsequenz als zwingend nötig erachtet, muss sich jedoch zugleich gegen die verbreitete Devise «Keine Freiheit für die Feinde» stellen, denn die Demokratie darf sich niemals der Mittel ihrer Gegner bedienen. Selbst Freiheitsfeinde müssen gewisse Freiheiten geniessen, aber nicht die, um das Ende der Freiheit herbeizuführen.